Das kleine Chaos

chaotische Geschichten

Der Eisbär und das verlorene Weihnachtslied 🐻‍❄️

Es war der erste Winter in einem kleinen, geheimen Wald tief im Norden. Der Schnee bedeckte die Bäume wie eine weiche Decke, und die Sterne funkelten wie Diamanten in der kalten Nacht. Doch in diesem Winter war etwas anders. Der zauberhafte Weihnachtsgesang, der die Tiere des Waldes jedes Jahr erwärmte, war verschwunden.

Boris, der Eisbär, der hoch oben im Norden lebte, hörte von diesem seltsamen Vorfall. In seiner fernen Heimat, wo Eis und Schnee das Land beherrschten, hatte er das Lied noch nie gehört, aber die Geschichten darüber gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es hieß, das Lied sei so schön, dass es den Tieren des Waldes in der kalten Jahreszeit Wärme und Trost spendete. Es wurde von den Tannen mitten im Wald gesungen und war jedes Jahr das große Ereignis. Doch in diesem Jahr war es still.

Neugierig und voller Hoffnung, das Weihnachtslied zu finden, machte sich Boris auf den langen Weg. Der Weg führte ihn durch dichte Wälder, über zugefrorene Flüsse und schneebedeckte Hügel. Er spürte die Kälte in seinem Pelz, aber seine Entschlossenheit wärmte ihn. Der Gedanke, das verlorene Lied zu finden, trieb ihn immer weiter.

Nach vielen Tagen erreichte Boris endlich den Waldrand. Die Bäume waren hoch und dicht, und der Schnee hatte sich zu einer dicken Decke auf dem Boden gesammelt. Boris hörte das leise Knirschen des Schnees unter seinen Pfoten und atmete die kalte Luft ein. Der Wald war still, viel zu still.

„Wo ist das Lied?“, fragte er sich leise und sah sich suchend um. Plötzlich hörte er in der Ferne ein leises, melancholisches Geräusch. Es war ein leises, wehmütiges Summen, das die Luft durchdrang und wie ein Hauch von Wärme in die Kälte brachte. Boris folgte dem Klang, und je näher er kam, desto klarer wurde das Summen – es war ein Lied, aber etwas stimmte nicht. Es war unvollständig, zerbrochen.

Vorsichtig trat er aus dem Schatten der Bäume und erblickte eine kleine Gruppe von Tieren, die sich um eine alte Tanne versammelt hatten. Der Waldfrosch, die Eule und der Igel standen nebeneinander und versuchten, das Weihnachtslied zu singen. Doch ihre Stimmen klangen traurig und verloren, und die Melodie war nicht die gewohnte Harmonie, die sie früher immer miteinander geteilt hatten.

„Was ist mit dem Lied passiert?“, fragte Boris und trat zu den Tieren.

„Es ist verschwunden“, seufzte der Waldfrosch. „Die Tanne, die es gesungen hat, ist krank. Ohne sie kann das Lied nicht mehr erklingen.“

Boris betrachtete die alte Tanne, deren Nadeln verblasst waren und deren Zweige schlaff herabhingen. Etwas war in ihr zerbrochen, und mit ihr schien auch das magische Lied verschwunden zu sein.

„Aber das Lied muss doch noch irgendwo sein“, sagte Boris nachdenklich. „Vielleicht ist es nicht die Tanne, die das Lied trägt, sondern der Klang, den wir in uns selbst finden.“

Die Tiere sahen sich an, als hätten sie zum ersten Mal darüber nachgedacht. Boris setzte sich neben die Tanne und schloss die Augen. Er dachte an all die Geschichten, die er gehört hatte, über die Kraft des Liedes und die Wärme, die es brachte. Er spürte die Stille des Waldes und die Kälte in der Luft. Und dann – ganz leise – begann er zu summen. Es war ein tiefer, beruhigender Ton, der sich langsam durch den Wald ausbreitete.

Zuerst war es nur eine leise Melodie, fast wie ein Hauch. Doch als die Tiere in den Gesang einstimmten, wurde der Klang lauter. Die Eule stimmte mit ihrer klaren, hohen Stimme ein, der Waldfrosch folgte mit einem tiefen Quaken, und der Igel, der nie viel gesprochen hatte, summte leise mit. Die Tiere um Boris herum fanden den Rhythmus, und je mehr sie sangen, desto mehr schien die Kälte zu weichen.

„Es ist nicht die Tanne, die das Lied trägt“, sagte die Eule schließlich mit weiser Stimme. „Es ist das, was wir miteinander teilen. Der Klang unserer Herzen, die sich in der Dunkelheit treffen.

Langsam begann sich die Tanne zu erheben. Ihre Äste wurden kräftiger, ihre Nadeln grüner. Und da, tief im Wald, erklang das wahre Weihnachtslied. Es war nicht mehr nur ein Lied, das die Tanne sang – es war ein Lied, das die Tiere des Waldes miteinander teilten. Ein Lied von Freundschaft, Wärme und Liebe.

Boris lächelte und lauschte. Der Winter war noch da, die Kälte noch spürbar, aber in ihren Herzen trugen die Tiere das wahre Weihnachten. Ein Weihnachten, das nicht von Zauberei oder einem Tannenbaum abhängt, sondern von der Verbundenheit der Wesen, die einander lieben.

Und so saßen sie alle zusammen unter dem Tannenbaum, lauschten dem Klang des verlorenen und wiedergefundenen Weihnachtsliedes und wussten: Weihnachten ist nicht nur ein Lied. Es ist der Klang des Miteinanders, der in den Herzen derer lebt, die ihn teilen.

Gute Nacht, Boris, und gute Nacht, alle Tiere des Waldes. Die Wärme des Weihnachtsliedes wird euch immer begleiten, egal wie kalt der Winter ist.